Unter den naturwissenschaftlich orientierten Homöopathen gab es schon zu Zeiten Hahnemanns nicht wenige, die über die gleichzeitige Einnahme zweier oder mehrerer Arzneien nachdachten und vorsichtig begannen, ihre Gedanken in die Tat umzusetzen, so auch der Hahnemann-Schüler Karl Julius Aegidi (1794-1874).
Aegidi beschäftigte sich mit eben dieser „abweichenden“, neuen Idee zur Anwendung homöopathischer Mittel, die auf Beobachtungen seines Freundes, des Kölner Arztes Johann Stoll, zurückging: Stoll lehnte einige Prinzipien Hahnemanns ab, vor allem die strikte Einzelmittelgabe. So begann Stoll in den Jahren 1831/1832 seinen Patienten nicht nur ein, sondern zwei passende Mittel zu verabreichen. Offenbar war es vorgekommen, dass ihm für einige Patienten nach der homöopathischen Anamnese eben nicht nur ein, sondern gleich zwei Arzneimittel gleich geeignet erschienen, er sich aber nicht für eines der beiden entscheiden konnte oder wollte. Stoll opponierte also gegen Hahnemanns dogmatisches Prinzip der Einzelmittelgabe und war damit erfolgreich. Aegidi unternahm, ermutigt durch diese Erfolge, gegen Ende des Jahres 1832 die ersten eigenen Versuche mit homöopathischen Doppelmitteln und war in zahlreichen Fällen ebenfalls erfolgreich.
Hahnemann verurteilte zu dieser Zeit die Versuche Aegidis sehr entschieden und schrieb ihm einen Brief, der ihn von weiteren Versuchen mit Doppelmitteln abhalten sollte. Aegidi aber erläuterte Hahnemann eingehend seine Beweggründe, von der „reinen Lehre“ abzuweichen. In den meisten Fällen, in denen Aegidi mit einem Einzelmittel erfolglos geblieben war und daher ein zweites Mittel gab (wobei „das eine mehr der einen Seite der Krankheit, das andere mehr der anderen derselben zu entsprechen schien“), übertraf der Erfolg seine Erwartungen und er heilte Kranke, „mit denen auf dem früheren Wege [mit Einzelmitteln] nichts anzufangen war“.
Beeindruckt von den Ergebnissen seines Schülers erwog Hahnemann nun selbst, sein eigenes Prinzip der ausschließlichen Einzelmittelgabe ein wenig zu lockern. Hahnemann bezeichnete die Anwendung von Doppelmitteln in Briefen an Aegidi gar als „vollkommen“, mit der Einschränkung allerdings, dass jedes der beiden auserwählten Mittel gleich homöopathisch angemessen erscheinen sollte.
Die faktische Weiterentwicklung seiner Theorie plante Hahnemann sogar in der nächstfolgenden Ausgabe des Organon als eigenen, neuen Paragraphen zu veröffentlichen. Doch es kam anders: Der neue Paragraph war im Manuskript enthalten, wurde aber schon vor der Veröffentlichung bekannt, ungünstiger Weise allerdings einem Schulmediziner, der sich höchst erfreut darüber zeigte, dass sich die Homöopathen wohl besonnen hätten und sich durch die „Erlaubnis zum Mischen von Arzneistoffen“ offenbar wieder der Schulmedizin annähern wollten. Hahnemann wog ab und ließ den neuen Doppelmittel-Paragraphen ersatzlos streichen – die Angst, doch als „Allopath“ angesehen zu werden, die vermutete Genugtuung der Schulmediziner (die ja schon immer Mischungen verabreichten) und die Verwässerung seiner Lehre hatten wohl die Vorzüge der neuen, verbesserten Methode überwogen. Seinen Ruf und sein Prestige hatte er damit zwar gewahrt, allerdings wider besseren Wissens und seiner zuvor geäußerten Überzeugung. Fortan distanzierte sich Hahnemann vehement und eindeutig von jeglichen Mischungen innerhalb „seiner“ Homöopathie.
Aegidi publizierte dennoch wenig später seine Erfahrungen und Ergebnisse als „Vorschläge zur Erweiterung der homöopathischen Technik“ und sah sein Verfahren nicht als „unhomöopathisch“ an, da in der Homöopathie schon immer zusammengesetzte Heilmittel angewendet worden seien, zumindest solche Mittel, die aus mehreren Einzelbestandteilen bestünden.
Die Reaktionen der homöopathischen Ärzte auf die Veröffentlichung ließen nicht lange auf sich warten: Erklärungen, Widerlegungen, Gegendarstellungen, Erwiderungen, Gegen-Erwiderungen und Gegen-Gegendarstellungen folgten in kurzer Folge. Die klassischen Homöopathen bedauerten, dass überhaupt solche Vorschläge gemacht werden konnten, wollten weitere Untersuchungen verbieten lassen und warnten vor der „großen Gefahr“, dass die Homöopathie mit den Mischungen wieder zur „Rationalität der Allopathie zurückkehren“ könnte. Für Hahnemann waren Mischungen indiskutabel geworden – er bezeichnete die Mischung homöopathischer Arzneien sogar als „Ketzerei“.
Die Etablierung homöopathischer Gemische
Arthur Lutze (1813-1870), ursprünglich ein Postbeamter, lernte erst auf Umwegen die Homöopathie kennen. Zunächst therapierte er bei sich selbst erfolgreich ein Wechselfieber und studierte ab dann intensiv die Homöopathie. Bald schon begann er mit der Behandlung eigener Kunden. Durch seine Erfolge wurde die Arbeit als Postbeamter immer mehr zugunsten seiner Tätigkeit als Laien-Heiler zurückgedrängt, bis er die Post-Anstellung nach einiger Zeit völlig aufgeben konnte, um sich nur noch der Heilkunst zu widmen. Die einflussreiche Ärzteschaft vermochte jedoch, dass ein Praxisverbot gegen ihn erlassen wurde. Lutze war gezwungen, sein praktisches Wissen auf eine anerkannte Grundlage, nämlich ein abgeschlossenes Medizinstudium zu stellen, was er 1850 in Jena mit der Promotion vollendete. Nunmehr Arzt baute er in Köthen sein eigenes Krankenhaus, die Lutze-Klinik, nach seinen Vorstellungen auf und behandelte in der Klinik nicht nur Patienten, sondern bildete auch junge Homöopathen aus.
Lutze war lange Zeit ein treuer Anhänger Hahnemanns und therapierte daher nur mit Einzelmitteln. Eines Tages hörte aber auch er von Aegidi und der Anwendung von Doppelmitteln und war davon schnell begeistert. In seiner Klinik konnte er die neue Therapievariante eingehend studieren und führte in der Folgezeit zahlreiche Versuche mit Doppelmitteln und Gemischen aus mehr als zwei Substanzen durch. Diese Entwicklung war für den Klinikalltag in Köthen überaus günstig, denn Lutze konnte auf klassischem Weg den stetig wachsenden Andrang der Patienten kaum noch bewältigen. Aus reiner Zeitnot war es ihm zunehmend weniger möglich, die so zeitintensive homöopathische Anamnese immer und bei allen Patienten durchzuführen. So profitierte er in erster Linie von der Zeitersparnis, seit er Doppel- und Komplexmittel einsetzte, da er nicht mehr umständlich lange nach einem passenden Einzelmittel suchen musste. Seine Heilerfolge machten die Klinik auch überregional immer bekannter. Ganz Geschäftsmann gründete er bald seinen eigenen Klinik-Verlag und verlegte dort zahlreiche Lehrbücher, die reißenden Absatz fanden und seine Bekanntheit weiter steigerten, aber auch die Kritiker auf den Plan riefen.
Ein Großteil der klassisch-homöopathischen Ärzte missbilligte Lutzes Art der homöopathischen Behandlung, insbesondere seine Mischungen und die hohe Zahl seiner Patienten, die er täglich behandelte. Besonders nahmen sie Lutze die „eigenmächtige“ Veröffentlichung der sechsten Auflage des Organon der Heilkunst übel, in welcher der umstrittene Paragraph zur Mischung von Einzelmitteln, dessen Veröffentlichung Hahnemann ursprünglich in letzter Sekunde abgeblasen hatte, dann endgültig publiziert wurde.
Lutze rechtfertigte sein Vorgehen: „Ich will´s Euch jetzt erklären, wie das geschehen konnte: Vater Hahnemann trug die neue Entdeckung, die er bis dahin geheim gehalten hatte, der freilich noch kleinen Versammlung der homöopathischen Ärzte am 10. August 1833 vor; statt aber offene Herzen zu finden, fand er starre, im Alten verdummte und verdumpfte Geister, die nicht das Heil, welches in der neuen Entdeckung verborgen lag, sondern nur einen Anlass zu neuen Angriffen und Anfeindungen von Seiten der Gegner darin erblickten, es mit der Vielmischerei der Allopathen verglichen, und den nachgiebigen alten Vater Hahnemann beredeten, die Veröffentlichung aufzugeben …So wurden wir, so wurde die Welt 21 Jahre lang betrogen, bestohlen um die wichtigste Entdeckung in der Homöopathie. … Wer diejenigen gewesen sind, die diesen Raub an der Menschheit verübt haben – ich kenne sie nicht, und will ihre Namen nie erfahren“.
Weiterentwicklung und Begründung homöopathischer Gemische
Die strenge Regel Hahnemanns, keine Gemische beim Patienten anzuwenden, entstand, wie zuvor dargestellt, in erster Linie aus der Ablehnung der Schulmedizin, von der sich die Homöopathen ganz klar distanzieren wollten. Hahnemanns Anhänger folgten den Grundprinzipien ihres Lehrers rigoros und unnachgiebig. Einige homöopathische Ärzte versuchten jedoch, die Homöopathie mit der Schulmedizin ihrer Zeit auszusöhnen und in Einklang zu bringen, was sie zwangsläufig in einen – bis heute bestehenden – Konflikt mit den Anhängern der klassischen Homöopathie trieb und das trotz nachvollziehbarer, wissenschaftlicher und logischer Argumente. Es entstanden Ansätze unterschiedlicher Richtungen, neue Denkansätze und verschiedene Theorien. Daraus entwickelten sich neue Therapiesysteme mit Komplexmitteln unterschiedlichster Zusammensetzung, die zu eigenen Heilsystemen entwickelt wurden und zum Teil bis in die heutige Zeit überdauerten.
Der Homöopath Theodor Alexander von Hagen beispielsweise erläuterte in einem Aufsatz, dass es mehrere Krankheiten gebe, die zur gleichen Zeit mit- und nebeneinander im Menschen bestehen könnten. Ein solches gleichzeitiges Bestehen mehrerer Krankheiten sah er als Voraussetzung dafür, dass mehrere homöopathische Mittel miteinander gemischt und gleichzeitig gegeben werden konnten.
Gaudenzio Soleri, Pfarrer und Homöopath, praktizierte in Turin und verwendete in seiner Praxis lange Zeit ausschließlich homöopathische Einzelmittel. Im Verlauf seiner Tätigkeit entdeckte er durch reinen Zufall die Vorzüge homöopathischer Gemische: Einem Patienten hatte er mehrere unterschiedliche Einzelmittel verordnet, die dieser nacheinander einnehmen sollte, aber versehentlich alle auf einmal eingenommen hatte. Der Patient war daraufhin unerwartet schnell geheilt. Über alle Maßen davon beeindruckt verwendete Soleri von diesem Tag an nur noch Gemische, zuerst für jeden Patienten eigens zusammengestellt, später dann als eigenständiges System mit 26 empirisch entwickelten Komplexen fortgeführt.
Giuseppe Belotti, Arzt und Neffe des Pfarrers Soleri, ging die Therapieweise seines Onkels wissenschaftlich an: Er kannte die Ergebnisse der Doppelmittel-Versuche von Aegidi, kombinierte diese mit den Erkenntnissen seines Onkels. In vielen Versuchen probierte er neue Kombinationen homöopathischer Arzneimittel, deren Wirkungen immer die physiologischen und histologischen Aspekte der Zielorgane und Organgruppen berücksichtigten. Bedeutsam für die Zusammensetzung der Mischungen waren dabei die Vorschriften der Pharmakopoe und eine profunde Kenntnis der Chemie. Experimentell ermittelte er die Dosierungen und Potenzen der Bestandteile, bevor er sie kombinierte. So entstand bald eine eigene Gruppe spezifischer homöopathischer Mischungen für die häufigsten Krankheiten seiner Praxis. Er nannte die Methode (komplex zusammengemischte Arzneimittel für komplexe Krankheiten) entsprechend „komplexe Homöopathie“. Belottis Komplexmittel-System verbreitete sich rasch und fand auch international große Anerkennung.
Der Schweizer Homöopath G.-A. Clerc unterstützte Belottis Komplexmittel-System in seinen eigenen Lehrbüchern: „Die Homöopathie bildet, glaube ich, eine ebenso wirksame als ungefährliche Methode, und ihre leichteste, um nicht zu sagen ergiebigste Anwendung, ist die von Dr. Belotti empfohlene. Wenn diese Methode auch nicht die absolute Vollkommenheit erreicht, so entspricht sie doch allen Anforderungen der Praxis und besitzt den Vorteil, dass sie die Homöopathie jedermann zugänglich macht“.
Der Militärarzt Antonio Finella übernahm das System Belottis und entwickelte daraus eigene homöopathische Komplexmittel. Er stellte auch ein eine „erhöhte Wirksamkeit der zusammengesetzten homöopathischen Mittel“ fest und formulierte unter anderem folgende These: „Die Homöopathie steckt noch in den Kinderschuhen. Ihre Anwendung ist zu schwierig. Komplizierte Erkrankungen vermag sie nicht zu heilen, weil sie sich auf die Einheit des Mittels versteift, und fast alle Erkrankungen sind komplizierter Natur. Die Homöopathie muss vervollkommnet werden. Der Irrtum von der Einheit des Mittels hat jeden Fortschritt vereitelt.“ Finella entwickelte im Lauf seines Wirkens 29 homöopathische Komplexmittel, die seiner Ansicht nach nicht nur in einem bestimmten Gewebe, sondern in allen entsprechenden Geweben und Organen gleichzeitig ihre Wirkungen entfalten würden.
Der Genfer Apotheker Albert Sauter teilte ebenfalls die Ansicht, dass eine komplizierte Krankheit mit den vielen ihr eigenen Symptomen besser durch ein Komplexmittel als durch ein Einzelmittel therapiert werden sollte. Ihm war aber vor allem daran gelegen, die Therapie auch den Nicht-Homöopathen zugänglich zu machen und kreierte 36 homöopathische Misch-Arzneien, die eine leichte und schnelle Mittelwahl und damit einen einfachen Weg zur Selbstbehandlung ermöglichen sollten. Welches oder welche Mittel aus dem Gemisch gewirkt hatten oder ob die besondere Zusammenstellung des Gemisches die Heilwirkung vollbracht hatte, war dabei nicht so relevant. Der schwierige Weg, ein passendes Einzelmittel nach dem individuellen Arzneimittelbild auszuwählen, wurde mit den Komplexmitteln durch den leichteren Weg ersetzt, das Komplexmittel mehr unter dem Gesichtspunkt der klinischen Diagnose einzusetzen. Auch klinisch denkende und schulmedizinisch arbeitende Ärzte konnten durch die Komplexmittel homöopathisch therapieren. Andersherum hatten auch klassische Homöopathen durch die Anwendung von Komplexmitteln mehr Zeit für die zeitintensive homöopathische Anamnese und Mittelwahl.
Die bedeutende Frage, ob es wirklich nötig sei, zwei oder mehr Mittel im Rezept zusammenzustellen, um sie gleichzeitig wirken zu lassen, beantwortete Arthur Sperling 1927 eindeutig mit Ja. Die in der Homöopathie verwendeten Einzelmittel seien meist selbst aus mehreren Einzelstoffen zusammengesetzt, Belladonna zum Beispiel aus elf verschiedenen Bestandteilen. Allein dies ergebe die Berechtigung auch für komplex zusammengesetzte Medikamente. Hinzu komme noch die langjährige Erfahrung, dass eine Kombination von zwei oder mehr Arzneimitteln zweckmäßiger sein könne als die Gabe nur eines Mittels.
Karl Erhard Weiß versuchte nicht, die eine oder die andere Seite zu präferieren, sondern plädierte für ein Mit- bzw. Nebeneinander beider Homöopathie-Richtungen. Gegen das Argument, dass homöopathische Komplexmittel nicht „Homöopathie“ seien, parierte Weiß: „Aber es handelt sich doch um Mittel, die nach den Grundsätzen homöopathischer Arzneipotenzierung hergestellt sind, und die Heilanzeigen [Indikationen] sind ebenfalls nach den Feststellungen homöopathischer Arzneiprüfung aufgestellt.
Nach dem Schweizer Norbert Gemsch führte der Einsatz eines Einzelmittels zu einer einseitigen und damit unzulänglichen Wirkung. Für die Gabe verschiedener Einzelmittel in schneller zeitlicher Folge sah er keinen Grund und propagierte ebenfalls die Anwendung als Kombination. Um die Wirkung eines Komplexmittels auf ein bestimmtes Organ oder Symptom zu optimieren, mischte Gemsch niedrig potenzierte Einzelmittel. Nach seiner Erfahrung brachte die Anwendung der Komplexmittel-Homöopathie gegenüber dem klassisch-homöopathischen Vorgehen häufiger das bessere klinische Ergebnis – einer Erfolgsquote der Komplexmittel von 75% stand eine Erfolgsquote von nur 45% bei der Gabe von Einzelmitteln gegenüber. Die „Komplex-Variante“ erschien ihm demnach als die „schärfere Waffe“. Gemsch plädierte auch für eine „laboratoriumsmäßige“ Herstellung und die breite Anwendung der Komplexmittel, wenn für bestimmte Indikationsgebiete gute therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung stünden.
Erdmann Leopold Stephanus Emanuel Felke (1856-1926) war durch seinen Vater seit jeher naturheilkundlich orientiert. Der Vater behandelte die Erkrankungen seiner Kinder, wenn immer möglich, mit homöopathischen Mitteln und Kräutern. Felkes Interesse an der Natur und der Heilkunst war seither geweckt und entwickelte sich immer weiter, so dass er später neben dem Theologiestudium oft auch medizinische Vorlesungen besuchte. Selbst in seiner Freizeit studierte er medizinische Literatur, vor allem über die Homöopathie und die Lehre Samuel Hahnemanns.
Um 1890 brach in Cronenberg, dem Ort seiner ersten Anstellung als Pfarrer, eine verheerende Diphterie-Epidemie aus, von der vor allem Kinder betroffen waren. Felke verwendete Mercurius cyanatus C 30 und alle von ihm so behandelten Kinder überlebten die Epidemie, während die schuldmedizinisch behandelten Kinder häufig verstarben. Diese Heilerfolge führten dazu, dass immer mehr Gemeindemitglieder Felke als Heilkundigen aufsuchten.
Durch Felkes fortwährende Weiterbildung in der Naturheilkunde wurden ihm unter anderem die Ideen von Adolf Just, Vincenz Prießnitz, Louis Kuhne, Arnold Rikli und Sebastian Kneipp bekannt und er versuchte, deren unterschiedliche naturheilkundliche Konzepte miteinander zu verknüpfen. Daraus entstand im Laufe der Zeit Felkes eigenes, ganzheitliches Heilkonzept mit der Homöopathie als Fundament, Lehm-, Licht-, Luft- und Wasseranwendungen, individuellen Diäten sowie Bewegungsübungen als weitere relevante Therapiebausteine, ergänzt durch die Pflanzenheilkunde – ein Konzept also, dass erstmals eine Verbindung zwischen Homöopathie und Naturheilkunde herstellte. Um die Therapien im Praxisalltag umzusetzen entstanden eigene Kurhäuser, sogenannte „Jungborne“. Von hier aus breitete sich die ganzheitliche Therapieweise in der Bevölkerung und der Ärzteschaft aus, die sich später in „Felke-Vereinen“ der Wahrung und der Fortführung der Therapie-Konzepte Felkes widmeten.
Auch nachdem Felke seine Wirkstätte von Repelen bei Köln nach Sobernheim, einem für sein Heilverfahren idealen Ort, verlegt hatte, blieb er vielbeschäftigt: Pro Tag behandelte er bis zu 400 Patienten. Um diesem Ansturm gerecht werden zu können, ging er bei der Arzneimitteltherapie mehr und mehr zu homöopathischen Mischungen über. Dazu vereinigte er verschiedene Einzelmittel zu einfach anzuwendenden homöopathischen Komplexen mit ausgeprägter Wirkung, die den verschiedenen Krankheitstypen entsprachen. Die Einzelmittel mischte er aber nicht allein nach den klinischen Gesichtspunkten, um einzelne Indikationen zu kurieren, sondern in der Absicht, mit der Zusammensetzung aus den einzelnen Arzneien auf verschiedenen Ebenen, und zwar symptomatisch auf die erkrankten Organe, reflektorisch auf die betreffende Organgruppe und konstitutionell auf den Gesamtorganismus, einzuwirken.
Je nach den Organen, die hauptsächlich belastet waren, unterschied er zwischen Herz-, Leber, Nieren- und Lungen-Belastungen. Bei rasch verlaufenden akuten Krankheiten gab Felke gerne Komplexmittel mit niedrigen Potenzen, bei chronischen Krankheiten gab er Einzelmittel in höherer Potenz. Komplexmittel verordnete er im zwei- bis dreistündigen Wechsel.